Selbstbestimmung – Nein Danke?

Unter dem Titel Behinderte Frau auf Odyssee findet sich in der Ausgabe der Kleinen Zeitung vom 7.12.2012, Kärnten Ausgabe – Seite 24, ein Artikel von Manuela Kalser.

In besagten Artikel geht es um eine Hamburger Dame, die trotz Down-Syndroms selbständig immer wieder mit dem Zug durch Europa reist. Wie kann sie nur?

Obwohl Sachwalter, Gericht und medizinisches Personal in Krankenhäusern die Frau als körperlich gesund einstufen und ihr zutrauen für die Unterkunft auf ihren Reisen selbst zu sorgen, scheinen Vertreter der Diakonie der Meinung zu sein, dass die Dame hilfsbedürftig sei, und man sich um sie kümmern müsse.

Unsere Fachmeinung nach, darf diese Frau nicht alleine reisen.” wird Diakoniesprecher Hansjörg Szepannek zitiert. Entscheidet nun schon die Diakonie für uns Menschen mit Behinderung, wer selbständig leben darf, und wer in eine Institution gesteckt werden muss?

Die Dame brauche schon bei der Körperpflege Hilfe. Es mag durchaus stimmen, doch sollte es doch Entscheidung des Individuums sein in diesem Fall Hilfe zu verlangen. Keinesfalls darf “Hilfe” aufgezwungen werden.

Hubert Stotter, Rektor der Diakonie scheint eine ganz spezielle Meinung zum Thema Selbstbestimmung und Respekt zu haben. Er wird folgendermaßen zitiert: “Die Frau einfach so herumfahren zu lassen, finde ich respektlos.“. Als nicht wörtliches Zitat wird noch angeführt: “Mit Selbstbestimmung hätte das nichts mehr zu tun.“. Unter Selbstbestimmung verstehe ich die freie Wahl aus akzeptablen Möglichkeiten. Wenn die Möglichkeit besteht, dass ich selbständig reisen kann und ich mich dafür entscheide, was bitte ist daran “respektlos”? Respektlos wäre es, diesen Wunsch zu unterbinden.

Mir ist durchaus bewusst, dass es Lebensumstände gibt, unter denen ein Leben ohne fremde Hilfe nur schwer oder nicht mehr möglich ist. Ich masse mir auch nicht an hier eine Aussage treffen zu können, ob dies in diesem Fall zutrifft. Ich bin aber auch der Überzeugung, dass diverse VertreterInnen von Institutionen ebenfalls nicht das Recht haben dürfen über das Leben einzelner Personen zu entscheiden.

Im Artikel wird auch angeführt, dass die Kommunikation mit der Dame sehr schwierig gewesen sei. Nachdem ich beim Artikel ein Foto sah, dass angeblich die Dame beim Besteigen des Zuges nach Deutschland zeigt, frage ich mich, ob sie draüber informiert wurde, dass ein Zeitungsbericht über sie geschrieben, und sie dort mit Bild abgedruckt wurde. Ein bitterer Beigeschmack bleibt, wenn die Gefahr besteht, dass Menschen mit Behinderung ohne ihr Wissen instrumentalisiert werden, insbesondere dann, wenn es darum geht die Hilflosigkeit von Menschen mit Behinderungen Medial zu verarbeiten.

Interessant ist hier natürlich auch die Gender-Perspektive. Wäre es auch zu diesen Bericht gekommen, wenn es sich bei der Person mit Behinderung um einen Mann gehandelt hätte? Ich erlaube hier ein gewisses Maß an Skepsis. Frauen mit Behinderung sind in unserer Gesellschaft mehrfachen Diskriminierungsgefahren ausgesetzt. Oft wird ihnen nicht das selbe Ausmaß an Selbständigkeit und Durchsetzungsvermögen wie den Männlichen Vertretern dieser Personengruppe zugesprochen.

Leider schaden derartige Berichterstattungen der Bewegung für mehr Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, einem Konzept, das übrigens auch fundamentaler Bestandteil der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist, welche auch von Österreich ratifiziert wurde. Menschen mit Behinderungen werden als Hilfsbedürftige Wesen dargestellt, um die man sich kümmern muss. Wenn sie sich nicht selbst waschen können, würden sie ja stinken, und das wollen wir nicht riechen müssen.

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